Atelieransicht, 2022
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Hans Brinkmann, Chemnitzer Autor, in einer Rezension in der Freien Presse:
Jede Arbeit hat ihre Geschichte in Form von übereinanderliegenden Farbschichten, Rastern, Flächen und resultierenden Räumen, ein Nebeneinander von durchscheinenden und stehengelassenen Vorstufen. |
Hans Brinkmann, Laudatio zur Ausstellung pattern and grid world am 6. Februar 2011 im Gellert-Museum Hainichen (als pdf):
Meine Damen und Herren, liebe Kunstfreunde, „Das, was Sie uns da erzählen, sehen Sie das wirklich alles auf den Bildern? Ehrlich?“, wer so fragt, stellt sich nicht dumm - und ist es schon gar nicht, im Gegenteil, wer so fragt, kommt genau auf den Punkt. Man denkt immer, man dürfe nicht sagen, was man zu erkennen meint, und müsse abwarten, bis einem erklärt wird, was man nicht sieht. Das ist aber falsch. Stellen Sie sich ein schwarzes Quadrat auf einem weißen Untergrund vor: das berühmte Bild von Malewitsch aus dem Jahr 1903, genau. - Stehen nicht schon die Fragen, die sich vor diesem Bild auftürmen, in einem grotesken Missverhältnis zu der lapidaren Darstellung? Und die Antworten erst. Beugt sich da nicht ein gigantisches Ideengebäude über einen winzigen Gegenstand, und man bekommt es mit der Angst zu tun; gleich fällt es um? Schon die Anzahl der Gedanken, ihr Umfang, ist irre. Wenn sich das alles über ein kleines schwarzes Quadrat sagen lässt, werden wir mit - beispielsweise - der „Nachtwache“ von Rembrandt ja nie fertig. Nebenbei bemerkt: das gelungene Kunstwerk - das geglückte Bild - zeichnet ja gerade aus, dass man mit ihm niemals fertig wird. Das Fertigwerden ist nachgerade ein Indiz dafür, dass entweder das Werk selbst misslungen ist oder die Aneignung missglückt. Nichtsdestoweniger bleibt die Diskrepanz bestehen. Etwas auf den ersten Blick sehr Einfaches, mag es schwer zu machen sein oder nicht, will etwas Kompliziertes, Komplexes bedeuten. Aber was? Es gibt uns Rätsel auf. Gegenständliche Werke machen es dem Betrachter leichter, sie vermögen das Gespräch mittels Wiedererkennung rasch vom Bild weg auf die so genannte Realität hinzulenken, in der sich jeder für kompetent halten kann und über die sich eine Menge Dinge mit Bestimmtheit sagen lassen. Da braucht es keine Philosophie. Wenn ich die Chance jedoch nicht habe, wenn ich nicht vom gemalten Kuchen auf den nächsten Kaffeklatsch komme, muss ich theoretisch werden oder kann gar nichts dazu sagen. Sich halten sollte man freilich immer an das, was man sieht. Und nicht ganz verkehrt mag es sein, von dem Gedanken auszugehen, der einem zuerst ungehörig erscheint, den man zuerst denkt, aber dann wieder wegsteckt: wer weiß, wie das sonst ankommt, wenn man den jetzt äußert? - genau der könnte der Schlüssel zum Verständnis des Ungewohnten sein. Ein bissel, wenigstens ein bissel ärgerlich ist das Neue nämlich immer, und wer dieses Ärgerliche zu fassen kriegt, der packt das Kunstwiesel am Genick, dem entwischt es nicht: das Wesen. Liebes Publikum, Kunst und Mode waren deshalb immer die Feinde der Versachlichung. Sie sprachen die verdrängten Funktionen an. Wieso sollte das Ornament, das von „ornare“ d. h. „schmücken“ kommt, ein Verbrechen sein? Es ist klar, wogegen die Versachlichung sich richtete: gegen die kitschige „Bekunstung“ von Alltagsgegenständen. Adolph Loos z. B. kämpfte gegen den Jugendstil und nahezu alles Vorherige. In der DDR beanspruchte das Erbe des Bauhauses, gelinde gesagt, gegen große Widerstände sein Recht. Aber es ist auch klar, dass überall dort, wo die Moderne diktiert: „So was kann man heutzutage nicht mehr machen, das geht nicht mehr“, die Kitschindustrie das geräumte Territorium sofort besetzt. Unter anderem daraus ergibt sich immer aufs Neue die Notwendigkeit einer Postmoderne, die den Kitsch und die „Gefühle“, auf die er sich beruft, ernst nimmt, statt auf Umerziehung des Publikums zu setzen. (Wer nämlich erst das Bewusstsein verändern muss, um seine Ware an den Mann zu bringen, hat schon verloren.) - Kunst und Mode waren da freilich immer - als ein schlechtes Gewissen der Moderne - schon am Werk, noch bevor die Sache auf den Begriff kam. Entschuldigen Sie den historischen Exkurs, er scheint mir wichtig, denn Uwe Mühlberg, um dessen Malerei und Zeichnungen es hier gehen soll, kommt gedanklich aus diesem Problemkreis, er kommt vom Ornament, er kommt vom Design, er kommt von der Faszination durch Mode, besonders durch Muster, Gewebe, Textilien. Da braucht man ihn bloß mal in einem Stoffgeschäft zu beobachten oder in einer entsprechenden Sammlung eines Museums. Eine authentische Leidenschaft am Ursprung seiner Kunst. Nur ist eben die Herkunft, die sich auch an Daten der Biografie festmachen lässt das eine (ja, er ist ein „Schneeberger“, er hat dort an der Fachhochschule sein Diplom erworben, ja, er hat vorher im Museum Karl-Marx-Stadt, das eine wertvolle Textilsammlung besitzt, gearbeitet), das Wohin ist die wichtigere Frage. Kunst entringt sich ja der Obsession, indem sie ihr folgt. Die Frage „Abstraktion wovon?“ holt in diesem Sinn immer nur die halbe Wahrheit ab, wenn sie nicht ergänzt wird durch die Frage: „Abstraktion wohin, zu welchem Ergebnis?“ - Aller Erkenntnishunger will heute immer nach den Wurzeln graben, es kommt freilich auf den Himmel an, in den die Bäume der Kunst wachsen sollen. Erst wenn man auch den hat, den Himmel, ist die ganze Richtung sichtbar. Die erste Frage von Uwe Mühlbergs Arbeiten lautet demnach, was macht aus Mustern Bilder und eben nicht Entwürfe für Kleiderstoffe? Wie wird aus ornamentalen Formen freie d. h. zweckfreie Malerei und Zeichnung? Erst wenn das geklärt ist, ließe sich fragen (und beantworten), warum. Das kann freilich nur auf der Leinwand oder dem Papier geklärt werden. Theoretisch lässt es sich allenfalls nachvollziehen. Es ist eben nicht so, dass der Künstler ein Bild der Natur geben will - und dann gibt er es halt mit den Mitteln, die er zur Verfügung hat. Vielmehr spricht der Inhalt des Werkes durch die Arbeit am Werk hindurch; selten voll bewusst. Wo es glückt, geschieht es nicht mit Vorsatz. Es ist der alte Picasso-Witz: ERST hat er gerne Tauben gemalt, DANN ist ihm aufgegangen, dass man die auch für den Frieden flattern lassen kann. Nicht umgekehrt. - Und analog sind bei Uwe Mühlberg aus der strukturalistischen Malerei - aus der Beschäftigung mit Mustern, Gittern, Gewebe, Schlaufen, Blattformen, Blüten usw. - Aussagen über Natur und Gesellschaft herauszulesen, die neuartig sind, befremdlich, verblüffend und provokativ. Natur ist ja eine Abstraktion. Und eine Projektion. Und eine Erfindung. In der Natur, könnte man sagen, findet sich keine Natur. Indem wir die ungeheure Vielfalt der Erscheinungen, Bestrebungen, Kräfte, Wirkungen usw., dieses ganze Gewusel sozusagen unter den Begriff der Natur zwingen, kultivieren wir sie bereits. Erst Kultur bringt Natur als ihren Gegensatz hervor. Dem Tier, auch dem Haustier, ist alles Natur und somit nichts. Als Metapher dient Natur der Verklärung, sprich: der Ideologie. Das reicht von der guten Mutter Erde über das „wilde“ Leben der „edlen Wilden“ bis zur angeblichen Naturwüchsigkeit gesellschaftlicher Prozesse, wenn die Kontrolle - oder auch bloß die Übersicht - verlorengegangen ist. In jüngster Zeit - wirklich erst seit ein, zwei Jahrhunderten - ist der Gedanke, sich die Natur untertan machen zu wollen, von Ideen der Ehrfurcht, der Demut und der Schicksalsergebenheit abgelöst worden, was angesichts gewisser Naturkatastrophen freilich auch an Grenzen stößt. Dass „Natur“ weitgehend menschengemacht ist und von Menschen anders gemacht werden muss, dürfte sich gegenwärtig immer mehr herumsprechen. Die Arbeit von Uwe Mühlberg enthält sich naheliegender, populärer Reaktionsweisen. Das heißt: sie ist nicht reaktionär. Sie ist nicht anklagend, nicht denunzierend, sie hält keinen Spiegel vor, sie verdoppelt das Hässliche nicht durch Abbildung, nicht einmal, um ihm das Schöne entgegenzusetzen. Ich erwähne das, weil gerade darin der Unterschied zu einer Vielzahl von Arbeiten anderer Künstler besteht, die zumindest in einem kleinen hässlichen Eckchen andeuten zu müssen glauben, dass die Welt nicht nur schön ist. Als ob man sich das nicht schon oft genug selbst sagt. Warum ist dieses hässliche Eckchen auf den Bildern von Uwe Mühlberg nicht nötig? Weil seine Kunst Natur nicht schützt, hegt, pflegt und verklärt, sondern weil seine Malerei ein Natur-Werden ist, weil sie aus dem Geist des Ornaments Natur nicht nur erfindet, sondern Natur WIRD. Natur-Werden heißt nicht ZU Natur werden. Dann könnte man auch alles auf den Komposthaufen schmeißen. Natur-Werden heißt WIE Natur werden. Naturwüchsig werden. - Aber Moment mal! Da drängen sich natürlich - natürlich! - eine Menge Naturvorstellungen auf, denen in den Bildern doch vehement widersprochen wird! Statt mit der Rohheit des Naturburschen oder der pubertären Spritzerei malender Rebellen zu protzen, stellt der Künstler eine kultivierte Natur vor. Der Utopie des Wilden, Ungebärdigen, Spontanen, das sich in Dissonanzen ausdrückt, aber in der Gegenwart zur bloßen Freizeit-Ideologie verkommen ist, wird provokativ die Schönheit des Intakten gegenübergestellt. Und dieser ruhige Affront ist durchaus verständlich. Die Schönheit des Intakten ist alles andere als harmlos. Was nämlich verlangt sich der Normalbewerber von heute ab? Unangepasstheit, Einzigartigkeit, Risikofreude - bis zu einem gewissen Punkt. Natürlichkeit heißt in diesem Fall: ein besonders ausgefallenes Exemplar sein. Ein kleiner grüner Kaktus. In vorauseilendem Gehorsam wird schon mal so quer gedacht, wie bald alle denken werden. Dann aber denkt man schon einen Zacken weiter quer, und wenn das eine Weile so geht, kriegt man den Job. Dem Selbstbild nach ist jeder derweil ein Ausgeflippter. Da aber alle draußen sind und irgendwo hineinwollen, bedeutet das gar nichts. In dieser Situation ist das umstrittenste Ding das intakte. Es wird mit dem meisten Argwohn betrachtet, weil man es am sehnlichsten herbeiwünscht. Keiner möchte funktionieren, aber alle möchten, dass ES funktioniert. Nun wird man einwenden, dass dieser Gegenentwurf, indem er das Kaputte ausspart, politisch die falschen Signale sendet. Eine Umkehr fordern viele, aber muss es denn gleich eine so radikale Abkehr sein? Es muss. Wo bleibt die Konzession ans Machbare? Sie bleibt aus. Will Kunst sich zu ihren politischen Implikationen, die es immer gibt, anständig verhalten, gilt es, nicht auf Dummenfang aus zu sein, sondern die geistige Freiheit aller zu vergrößern. Mehr Raum. Mehr Kühnheit. Keine Konzessionen an das Halbgare. In Uwe Mühlbergs Arbeiten ist das Intakte, für das die innere Stimmigkeit des Bildes bürgt, kein Idyll sondern ein ausgreifender, praktisch endlos sich fortsetzender Zustand. Es ist schon die Welt gemeint, nicht nur ein kleines Privatbiotop. Das aber auch. Mich hat die Betrachtung der Bilder im Vorfeld der Ausstellung an den Begriff des Ritornells erinnert. Unter einem Ritornell verstehen wir zum einen den Teil einer Girlande, der sich endlos fortsetzt, zum anderen eine Gedichtform: einen Dreizeiler. Im ersten Vers wird der Name einer Blume genannt, es folgen zwei längere, gleichlange Verse, wobei der letzte sich auf den ersten reimt, der mittlere bleibt ungereimt. Diese beiden Verse enthalten eine - meist löbliche - Aussage über eine Frau. Uwe Mühlbergs Arbeiten greifen auf ein Formenarsenal zu, dass mit der Emanzipation weiblicher Arbeit in der Kunst rehabilitiert wurde. Sie widersprechen männlicher Kraftmeierei durch Auflösung der expressiven Hau-Ruck-Geste. An deren Stelle setzen sie Textur, Struktur, Kontinuität. Ich wünsche der Ausstellung Erfolg und Ihnen allen noch eine schöne nachdenkliche Weile hier sowie einen ebenso schönen Sonntag. |